Die Idee eines Begleitsterns der Sonne, Nemesis genannt, entstand durch die Beobachtung von Massenaussterbezyklen, die scheinbar alle 26 bis 30 Millionen Jahre auftreten. In den 1980er Jahren wiesen die Forscher David Raup (1933-2015) und Jack Sepkoski (1948-1999) diese Zyklen anhand fossiler Aufzeichnungen nach.
Um diese periodischen Aussterbeereignisse zu erklären, schlugen die Astronomen Richard A. Muller (1944-), Marc Davis (1947-) und Piet Hut (1952-) 1984 die Existenz eines schwach leuchtenden Begleitsterns auf einer stark elliptischen Umlaufbahn um die Sonne vor. Dieser Stern, Nemesis genannt, könnte bei jedem nahen Vorbeiflug die Bahnen der Kometen in der Oortschen Wolke stören und einen Schauer von Projektilen in Richtung des inneren Sonnensystems auslösen.
N.B.:
In der galaktischen Dynamik kann ein isolierter Stern das Ergebnis gewaltsamer gravitativer Wechselwirkungen innerhalb seines Geburtsclusters sein. Etwa 70 % der massereichen Sterne werden heute in Mehrfachsystemen beobachtet, was darauf hindeutet, dass die Isolation der Sonne wahrscheinlich eine sekundär erworbene Situation ist.
Trotz jahrzehntelanger Forschung wurde kein direkter Beweis für die Existenz von Nemesis gefunden. Moderne astronomische Durchmusterungen wie WISE (Wide-field Infrared Survey Explorer) haben den Himmel im Infrarotbereich kartiert und keine braunen Zwerge oder schwachen Sterne in den für Nemesis vorgeschlagenen Entfernungen entdeckt. Viele Astronomen halten die Nemesis-Hypothese aus folgenden Gründen für unwahrscheinlich:
N.B.:
Die Oortsche Wolke ist eine "theoretische" Region, die sich zwischen 2.000 und 100.000 astronomischen Einheiten von der Sonne befindet und Milliarden extrem kleiner und dunkler Kometenkerne enthält. Ihre Existenz wird aus den Umlaufbahnen einiger langperiodischer Kometen abgeleitet, die aus allen möglichen Richtungen kommen und eine Kugel um das Sonnensystem bilden.
Aktuelle Studien zur Sternentstehung zeigen, dass mehr als 60 % der sonnenähnlichen Sterne in binären oder Mehrfachsystemen geboren werden. Die Arbeit von Steven Stahler (Universität von Kalifornien, 2017) legt nahe, dass die Sonne bei ihrer Geburt sehr wahrscheinlich einen Zwillingsstern hatte, der durch gravitative Wechselwirkungen innerhalb ihres ursprünglichen Clusters getrennt wurde.
Dieser Begleiter "Nemesis", falls er existierte, hätte leicht aus dem frühen Sonnensystem ausgestoßen werden können. Tatsächlich entstehen Sterne selten isoliert, sondern innerhalb dichter Sternhaufen. Enge gravitative Wechselwirkungen zwischen jungen Sternen in diesen chaotischen Umgebungen sind häufig und können leicht neu gebildete binäre Paare trennen.
Daher hatte die Sonne sehr wahrscheinlich in ihrer Jugend einen oder mehrere Begleitsterne, die jedoch durch gravitative Störungen abgerissen wurden. Die hypothetische Nemesis, falls sie existierte, würde heute unabhängig um das galaktische Zentrum kreisen, Lichtjahre von uns entfernt, oder von einem anderen Sternsystem eingefangen worden sein. Diese Möglichkeit macht die Suche nach einem solchen Objekt heute umso schwieriger.